Khurum
Kauan
14.03.2020 muenic
4 Min. Lesezeit
Eigentlich müsste ich hier ein 52-minütiges Lied vorstellen, nämlich das komplette Album "Sorni Nai" des russisch-ukrainischen Projekts Kauan. Denn dieses Konzeptalbum ist ein Gesamtkunstwerk und es grenzt an Frevel, sich nur einen Song rauszupicken. Aber nicht jeder hat die Zeit und Muße, sich ein komplettes Album am PC anzuhören und Rezensionen von Alben passen auch gar nicht zum Konzept von muenic.de. Überdies hat das Album für meine empfindlichen Ohren einen Haken (dazu später mehr). Daher werde ich etwas ausführlicher auf Hintergrund und Seele des Albums eingehen und einen weiteren Song grob anreissen. Dieser Kompromiss dürfte den Frevel ein wenig abmildern.
Wie bei jedem Blog-Post recherchiere ich vorher im Netz den dazugehörigen Song, um mit etwaigen Hintergrundinformationen aufwarten zu können. Nachdem ich beschloss, über "Khurum" zu schreiben, begab ich mich auch hier auf die Netzrecherche. So kam ich dank der Webseite von Kauan an die Information, dass ihr Album "Sorni Nai" dem Unglück am Djatlow-Pass gewidmet ist. Bei diesem Unglück kam am 1. Februar 1959 eine Gruppe von neun Skiwanderern im nördlichen Ural-Gebirge der Sowjetunion auf sehr mysteriöse Weise ums Leben. Eigentlich bestand die Gruppe aus zehn Wanderern, ein Teilnehmer erkrankte jedoch kurz nach dem Start und musste umkehren. Die genauen Todesumstände und die Ursache der Tragödie konnten bis heute nicht ermittelt werden, da es keine Zeugen gab und die vorgefundenen Beweise nur noch mehr Fragen aufwarfen. Dementsprechend kursieren seitdem viele, teils abstruse Theorien in Filmen, Büchern und im Internet. Das Thema beschäftigt die Ural-Region bis heute, denn 2019 wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen (wer sich in die Geschichte reinlesen möchte: der verlinkte Wikipedia-Artikel ist sehr ausführlich und informativ).
Vier Jahre früher hatte es Kauan beschäftigt, denn im Oktober 2015 haben sie besagtes Album zu dem Thema veröffentlicht, das laut Kauan als ein einziges Musikstück konzipiert wurde und die Band in die Gefilde des musikalischen Geschichtenerzählens bringen sollte. In der Tat, das ist ihnen gelungen, denn die Scheibe führt den Hörer in einer einzigartigen Art und Weise vom unschuldigen, idyllischen Beginn der Wanderung zum vernichtenden, katastrophalen Ende. Auch ohne das Wissen um den Hintergrund des Albums hatte ich an verschiedenen Stellen immer wieder Gänsehautattacken, denn die Band macht ausserordentlich intelligente, atmosphärische und gefühlvolle Musik, die dem Hörer tatsächlich eine Geschichte erzählt.
Kauan begannen 2005 Musik zu machen - erst auch auf russisch, zwei Alben später ausschließlich auf finnisch, weil "die Bedeutung der Sprache, die von so wenigen Menschen gesprochen (und somit verstanden) wird, nicht die Interpretation der Musik beeinflussen soll" (Zitat Kauan-Webseite). Genretechnisch ist ihre Musik extrem schwierig einzuordnen, denn sie ist durchweg stilübergreifend, bewegt sich grösstenteils im Ambient-Bereich, beeinflusst durch Neofolk und Neoklassik und häufig mit gepfefferten Prisen aus dem Doom-Metal und Post-Rock. Ich habe sie neben Ambient und Post-Rock in die Rubrik Metal einsortiert, weil sie auf "Sorni Nai" sehr oft Metal-Gitarrenriffs und -Schlagzeug einsetzten (ob Doom-Metal oder nicht: für mich ist es Metal). Allerdings sei an dieser Stelle betont, dass es nie hektisches oder zusammenhangloses Geschrammel sondern immer sehr melodisch ist, oftmals begleitet von Klavier und Violine oder Cello.
Einige Songs von "Sorni Nai" gefallen mir gut (Akva, Kit, Nila) bis sehr gut (At, Khurum). Man spürt über das gesamte Album eine gewisse Melanchonie und Dramatik, die zum Ende hin zunimmt. Ganz besonders ist mir "Khurum" aufgefallen, das gemächlich und beruhigend-verträumt beginnt mit Gesang, akustischer Gitarre, Violine, Keyboard und Synthesizer - hier und da ist auch eine Harfe zu hören und es setzt ein schönes, langsames Gitarrensolo ein. Nach ungefähr der Hälfte des Liedes eine für dieses Album typische Klavierpause und dann: Klangexplosion! Gänsehaut! Ein kongeniales Zusammenspiel von bombastischem Schlagzeug, Metalriffs und Synthesizer (der von einem Ohr zum anderen wandert) läßt mich spätestens dann die Lautstärke aufdrehen. Dann folgt wieder eine spannungsaufbauende Klavierpause und ein leicht dusteres Ende mit sonorem Gesang ist die Folge, bei dem das Klavier abermals die melodisch treibende Kraft ist. Dieses Lied habe ich mir schon gefühlte 200 mal angehört; an diesen Stellen stehen mir immer wieder die Nackenhaare zu Berge.
Ich konnte es übrigens nicht lassen und habe mir den Songtext von "Khurum" näher angesehen. Das Lied thematisiert neben Schneesturm und Kälte auch den oben erwähnten zehnten Teilnehmer, den einzigen Überlebenden. So lautet der erste Vers:
Wie bei jedem Blog-Post recherchiere ich vorher im Netz den dazugehörigen Song, um mit etwaigen Hintergrundinformationen aufwarten zu können. Nachdem ich beschloss, über "Khurum" zu schreiben, begab ich mich auch hier auf die Netzrecherche. So kam ich dank der Webseite von Kauan an die Information, dass ihr Album "Sorni Nai" dem Unglück am Djatlow-Pass gewidmet ist. Bei diesem Unglück kam am 1. Februar 1959 eine Gruppe von neun Skiwanderern im nördlichen Ural-Gebirge der Sowjetunion auf sehr mysteriöse Weise ums Leben. Eigentlich bestand die Gruppe aus zehn Wanderern, ein Teilnehmer erkrankte jedoch kurz nach dem Start und musste umkehren. Die genauen Todesumstände und die Ursache der Tragödie konnten bis heute nicht ermittelt werden, da es keine Zeugen gab und die vorgefundenen Beweise nur noch mehr Fragen aufwarfen. Dementsprechend kursieren seitdem viele, teils abstruse Theorien in Filmen, Büchern und im Internet. Das Thema beschäftigt die Ural-Region bis heute, denn 2019 wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen (wer sich in die Geschichte reinlesen möchte: der verlinkte Wikipedia-Artikel ist sehr ausführlich und informativ).
Vier Jahre früher hatte es Kauan beschäftigt, denn im Oktober 2015 haben sie besagtes Album zu dem Thema veröffentlicht, das laut Kauan als ein einziges Musikstück konzipiert wurde und die Band in die Gefilde des musikalischen Geschichtenerzählens bringen sollte. In der Tat, das ist ihnen gelungen, denn die Scheibe führt den Hörer in einer einzigartigen Art und Weise vom unschuldigen, idyllischen Beginn der Wanderung zum vernichtenden, katastrophalen Ende. Auch ohne das Wissen um den Hintergrund des Albums hatte ich an verschiedenen Stellen immer wieder Gänsehautattacken, denn die Band macht ausserordentlich intelligente, atmosphärische und gefühlvolle Musik, die dem Hörer tatsächlich eine Geschichte erzählt.
Kauan begannen 2005 Musik zu machen - erst auch auf russisch, zwei Alben später ausschließlich auf finnisch, weil "die Bedeutung der Sprache, die von so wenigen Menschen gesprochen (und somit verstanden) wird, nicht die Interpretation der Musik beeinflussen soll" (Zitat Kauan-Webseite). Genretechnisch ist ihre Musik extrem schwierig einzuordnen, denn sie ist durchweg stilübergreifend, bewegt sich grösstenteils im Ambient-Bereich, beeinflusst durch Neofolk und Neoklassik und häufig mit gepfefferten Prisen aus dem Doom-Metal und Post-Rock. Ich habe sie neben Ambient und Post-Rock in die Rubrik Metal einsortiert, weil sie auf "Sorni Nai" sehr oft Metal-Gitarrenriffs und -Schlagzeug einsetzten (ob Doom-Metal oder nicht: für mich ist es Metal). Allerdings sei an dieser Stelle betont, dass es nie hektisches oder zusammenhangloses Geschrammel sondern immer sehr melodisch ist, oftmals begleitet von Klavier und Violine oder Cello.
Einige Songs von "Sorni Nai" gefallen mir gut (Akva, Kit, Nila) bis sehr gut (At, Khurum). Man spürt über das gesamte Album eine gewisse Melanchonie und Dramatik, die zum Ende hin zunimmt. Ganz besonders ist mir "Khurum" aufgefallen, das gemächlich und beruhigend-verträumt beginnt mit Gesang, akustischer Gitarre, Violine, Keyboard und Synthesizer - hier und da ist auch eine Harfe zu hören und es setzt ein schönes, langsames Gitarrensolo ein. Nach ungefähr der Hälfte des Liedes eine für dieses Album typische Klavierpause und dann: Klangexplosion! Gänsehaut! Ein kongeniales Zusammenspiel von bombastischem Schlagzeug, Metalriffs und Synthesizer (der von einem Ohr zum anderen wandert) läßt mich spätestens dann die Lautstärke aufdrehen. Dann folgt wieder eine spannungsaufbauende Klavierpause und ein leicht dusteres Ende mit sonorem Gesang ist die Folge, bei dem das Klavier abermals die melodisch treibende Kraft ist. Dieses Lied habe ich mir schon gefühlte 200 mal angehört; an diesen Stellen stehen mir immer wieder die Nackenhaare zu Berge.
Ich konnte es übrigens nicht lassen und habe mir den Songtext von "Khurum" näher angesehen. Das Lied thematisiert neben Schneesturm und Kälte auch den oben erwähnten zehnten Teilnehmer, den einzigen Überlebenden. So lautet der erste Vers:
Einer von zehn
wird krank und geht nicht weiter
Ein schneller Abschied
und die Wege trennen sich
Kauan (aus dem Finnischen übersetzt von muenic)
Gleich danach gefällt mir wie schon erwähnt "At" ebenfalls sehr gut. Auch hier Gänsehautgarantie beim immer wieder einsetzenden Gitarrensolo, das nur von diversen Streichinstrumenten und Klaviereinlagen unterbrochen und später von Metalriffs inklusive wuchtigem Schlagzeugspiel abgelöst wird. Das ganze Album ist gerprägt von Rhythmus- und Stilwechseln dieser Art und erzeugt somit eine Berg- und Talfahrt der Gefühle - von leicht beschwingt bis zu einer tiefen Melanchonie (wenn nicht sogar Traurigkeit) ist alles dabei.
Und nun zum eingangs erwähnten Haken: das Einzige, was mir an dem Album nicht gefällt, ist der agressive Death-Metal-Gesang, der hin und wieder zum Einsatz kommt. Ich habe es versucht aber ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. Die Band hat ihn mit Sicherheit als Stilmittel eingesetzt, um die Dramatik zu unterstreichen (und auf früheren Alben ist er auch zu hören) aber für meinen Geschmack mindert er die Qualität der dramatisch schönen Klangwände in den letzten beiden Songs "Khot" und "Sat". Wenn das Gebrüll nicht wäre, würde ich "Sorni Nai" als das beste Konzeptalbum bezeichnen, was mir seit langem über den Plattenteller gelaufen ist.
Update 17.03.21:
Dankenswerterweise hat sich das Magazin multipolar mit dem Unglück am Djatlow-Pass beschäftigt und einen gut recherchierten, schlüssigen Bericht über den möglichen Grund des "Unglücks" veröffentlicht. Lesenswert!
Und nun zum eingangs erwähnten Haken: das Einzige, was mir an dem Album nicht gefällt, ist der agressive Death-Metal-Gesang, der hin und wieder zum Einsatz kommt. Ich habe es versucht aber ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. Die Band hat ihn mit Sicherheit als Stilmittel eingesetzt, um die Dramatik zu unterstreichen (und auf früheren Alben ist er auch zu hören) aber für meinen Geschmack mindert er die Qualität der dramatisch schönen Klangwände in den letzten beiden Songs "Khot" und "Sat". Wenn das Gebrüll nicht wäre, würde ich "Sorni Nai" als das beste Konzeptalbum bezeichnen, was mir seit langem über den Plattenteller gelaufen ist.
Update 17.03.21:
Dankenswerterweise hat sich das Magazin multipolar mit dem Unglück am Djatlow-Pass beschäftigt und einen gut recherchierten, schlüssigen Bericht über den möglichen Grund des "Unglücks" veröffentlicht. Lesenswert!
Ziemlich ruhig hier...
Schreib den ersten Kommentar!
Schreib den ersten Kommentar!